Montag 22. September 2008

 

 

 

 

 

 

 

 

Lokstörung beim IC 725 in Uzwil - Aus der Sicht des Zugpersonals

 

 

 

Zwangspause für Kondukteur

 

 

 

Von Andreas Hobi - schweizweit.net

 

 

 

Es ist Montag. 15:32 Uhr. Ich bin der dritte Mann auf dem IC 725, vom warmen Zürcher Hauptbahnhof her kommend mit Ziel St. Gallen in der kalten Ostschweiz. Nebst mir sind noch der Zugchef und der planmässige Kondukteur auf dem Zug. Ich bin nur zur Verstärkung hier.

Soeben sind wir in Uzwil SG angekommen. Reisende steigen aus, andere ein, die meisten jedoch bleiben sitzen. Nichts deutet darauf hin, dass die Ruhe nur noch wenige Sekunden dauern wird, dass wir schon bald ein gröberes Problem haben werden.

 

 


Es ist 15:33 Uhr.

Eine Minute später als noch vorhin. Der Zugchef verlangt von mir und dem anderen Zugbegleiter die Bereitschaft, fertigt den Zug ab und schliesst die Türen nachdem wir eingestiegen sind. Niemand kommt jetzt mehr rein oder raus.

 


15:33.15 Uhr.

Der Zug müsste sich jetzt langsam aber sicher in Bewegung setzen.

 


15:33.45 Uhr.

Noch hat sich der Zug keinen Zentimeter bewegt.

 


15:34.30 Uhr.

Inzwischen ist mir klar, dass wir ein Problem haben.



15:35 Uhr.

Der Zugchef befindet sich drei Wagen hinter mir. Der andere Kondukteur ist vier Wagen vor mir. Noch weiss ich nicht, welches Problem wir haben. Bestimmt wird bald das Handy läuten oder eine Durchsage des Zugchefs ertönen.

 


15:35.30 Uhr.

In solchen Situationen kommen einem Sekunden wie Minuten vor. “Zeit ist relativ.” Stammen diese Worte nicht von Albert Einstein? Jetzt verstehe ich, was er damit meinte.

 


15:36.00 - 15:36.13 Uhr.

“Ding Dong. Geschätze Fahrgäste. Wegen einer Lokstörung sind wir zurzeit an der Weiterfahrt verhindert. Wir versuchen, den Schaden so rasch wie möglich zu beheben, danken für Ihre Geduld und bitten um Entschuldigung.”

 


15:36.14 Uhr.

Die Fahrgäste stöhnen im Chor.

 


15:37.30 Uhr.

Da der Bahnhof Uzwil in einer leichten Kurve liegt, kann ich von der Türe aus die Lokomotive am Zugsende sehen. Der Pantograph (Stromabnehmer) ist noch gehoben, befindet sich noch an der Fahrleitung. So schlimm kann die Störung also nicht sein.

 


15:38.15 Uhr.

Der Pantograph senkt sich.

 


15:41 Uhr.

Langsam werde ich unruhig. Um 15:53 Uhr sollte ich in St. Gallen ankommen, um 16:04 Uhr fährt mein Anschlusszug. Erwische ich den noch?

 


15:44 Uhr.

Erste Fahrgäste sorgen sich um ihre Anschlüsse.

 


15:46 Uhr.

Der Lokführer läuft im Eiltempo vom Steuerwagen an der Spitze des Zuges zur Lok am Ende des Zuges. Mit diesem Tempo hätte selbst Usain Bolt kaum mithalten können.

 


15:47.30 Uhr.

Erste Fahrgäste rufen per Handy Ihre Liebsten zu Hause an. “Wird heute später. Der Zug hat eine Störung.” Ich beginne mich zu fragen, wieviel die Swisscom an solchen Pannen verdient. Hat sie zwecks Gewinnmaximierung vielleicht sogar Sabotage betrieben? Wurde die Lokomotive per Fernzünder aus dem Swisscom-Hauptsitz kalt gestellt?

 


15:49 Uhr.

Glücklicherweise ist auf dem Zug um 16:04 Uhr ab St. Gallen noch ein anderer Zugbegleiter, denn ich werde den Zug wohl nicht mehr rechtzeitig erreichen.

 


15:51 Uhr.

Telefonische Rücksprache mit dem Einteiler. Eigentlich hätte ich um 16:04 Uhr nach Altstätten SG fahren sollen, dann zurück nach St. Gallen und gleich darauf (18:04 Uhr) nach Chur.

 


15:52 Uhr.

Entscheid des Einteilers: Du bleibst in St. Gallen und fährst dann wie geplant um 18:04 Uhr nach Hause.

 


15:54 Uhr.

Der Pantograph hebt sich wieder.

 


15:57 Uhr.

Der Lokführer legt seinen zweiten Spurt hin.

 


15:57.30 Uhr.

Durchsage des Zugchefs. Der Schaden scheint behoben zu sein. Es geht bald weiter.

 


15:59 Uhr.

Der Zug setzt sich in Bewegung.

 


16:15 Uhr.

Wir kommen in St. Gallen an.

 

 


Eigentlich hätte ich bis Dienstschluss keine Pause mehr gehabt. Und nun habe ich völlig unerwartet ganze eineinhalb Stunden Pause. So än Seich! Und dabei habe ich mich soooo auf diesen Pendlerzug gefreut, auf diese Leute mit ihren griesgrämigen Gesichtern, auf die auf-dem-WC-Raucher, auf die habe-mein-GA-zu-Hause-vergessen-Fahrgäste, auf die hey-joo-mann-was-wotsch-mann-Jugendlichen. Ganze Vorfreude umsonst.

Eine halbe Stunde Pendlerzug von St. Gallen nach Altstätten und nach einem ganz kurzen Unterbruch nochmals das selbe in umgekehrter Richtung. Vergebens habe ich mich darauf gefreut.

Nun hat der einzig verbleibende Zugbegleiter auf jenem Zug alle diese Leute für sich alleine. Wie ich ihn beneide! Stattdessen werde ich meine Füsse erst wieder kurz nach 18 Uhr in einen Zug setzen. In einen Zug, in welchem erfahrungsgemäss fast jeder ein Billett hat, fast niemand sein Abo zu Hause liegen lassen hat, und in welchem selten jemand auf der Toilette am Glimmstängel zieht.

Als wäre dies nicht genug, habe ich nun auch noch zwei Tage frei. Die machen es einem echt nicht leicht bei der SBB. :o)


 

 

 

 

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